Das Pflegekompetenzgesetz: Mehr Verantwortung für Pflegekräfte und ein großer Schritt für die Gesundheitsversorgung

Veröffentlicht am 4. April 2025 um 20:00

Die Pflege in Deutschland steht vor einer bedeutenden Reform: Das geplante Pflegekompetenzgesetz soll Pflegefachkräften mehr Eigenverantwortung geben und sie stärker in die medizinische Versorgung einbinden. Damit sollen nicht nur die Attraktivität des Berufs gesteigert, sondern auch der steigende Pflegebedarf und der Fachkräftemangel besser bewältigt werden.

Doch welche konkreten Änderungen bringt das Gesetz? Wie profitieren Pflegekräfte, Patienten und Pflegeeinrichtungen davon? Und welche Herausforderungen gibt es bei der Umsetzung?

 

Warum das Pflegekompetenzgesetz notwendig ist

Deutschland befindet sich in einer demografischen Krise: Die Bevölkerung altert, und damit steigt die Zahl der pflegebedürftigen Menschen rasant an. Laut Statistischem Bundesamt gibt es derzeit über 5 Millionen Pflegebedürftige, bis 2040 soll diese Zahl noch weiter steigen. Gleichzeitig fehlt es an Pflegekräften – viele verlassen den Beruf wegen Überlastung und mangelnder Anerkennung.

Bisher mussten viele pflegerische Tätigkeiten von Ärztinnen und Ärzten delegiert werden, was in der Praxis oft zu Verzögerungen und unnötigem bürokratischen Aufwand führte. Mit dem Pflegekompetenzgesetz soll sich das nun ändern: Pflegekräfte sollen eigenständiger handeln dürfen und dadurch das Gesundheitssystem entlasten.

 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betont:

"Pflege kann mehr, als sie bislang darf. Wir müssen den Pflegekräften mehr Verantwortung und mehr Handlungsspielraum geben, um den steigenden Herausforderungen zu begegnen."

(Quelle: Bundesgesundheitsministerium)

Die wichtigsten Regelungen des Pflegekompetenzgesetzes im Überblick

 

✅ Pflegekräfte erhalten erweiterte Befugnisse in der Versorgung

Pflegefachpersonen sollen künftig neben Ärztinnen und Ärzten eigenverantwortlich bestimmte Leistungen übernehmen dürfen, die bisher ärztliche Anordnungen erforderten. Dazu gehören:

  • Wundmanagement: Pflegekräfte dürfen eigenständig Wunden versorgen und Behandlungsschritte festlegen.
  • Diabetes-Management: Pflegekräfte erhalten mehr Entscheidungsspielraum bei der Betreuung und Therapie von Diabetes-Patienten.
  • Demenz-Management: Pflegefachkräfte sollen eigenständige Entscheidungen in der Betreuung und Therapie treffen können.
  • Verordnung von Hilfsmitteln: Pflegekräfte dürfen Folge-Verordnungen für Hilfsmittel wie Gehhilfen oder Kompressionsstrümpfe eigenständig ausstellen.

Bisher mussten Pflegekräfte in all diesen Bereichen auf ärztliche Anweisungen warten – das soll sich nun ändern, um die Versorgung effizienter zu gestalten.

 

✅ Rechtliche Klarstellung: Pflegekräfte dürfen heilkundliche Aufgaben übernehmen

Das Pflegeberufegesetz wird entsprechend angepasst, um klarzustellen, dass Pflegefachpersonen heilkundliche Tätigkeiten eigenverantwortlich durchführen dürfen. Dies soll sicherstellen, dass ihre erweiterten Kompetenzen auch rechtlich abgesichert sind.

Zusätzlich soll ein Muster-Scope of Practice in Zusammenarbeit mit Pflegeberufsorganisationen erarbeitet werden, um die genauen Aufgabenbereiche der Pflegekräfte detailliert zu definieren und zukünftige Weiterentwicklungen vorzubereiten.

 

✅ Stärkere Mitbestimmung der Pflegeberufe

Die Organisationen der Pflegeberufe auf Bundesebene sollen gestärkt und in gesetzliche Entscheidungen, die sie betreffen, systematisch eingebunden werden. Damit soll sichergestellt werden, dass Pflegekräfte dort mitreden, wo über sie entschieden wird – etwa in den Sozialgesetzbüchern SGB V (Krankenversicherung) und SGB XI (Pflegeversicherung).

 

✅ Mehr Flexibilität und weniger Bürokratie in der Pflege

Um Pflegekräfte zu entlasten, sollen bürokratische Hürden in der ambulanten und stationären Pflege abgebaut werden. Geplant ist eine Vereinfachung von Betreuungs- und Entlastungsangeboten für Pflegebedürftige, insbesondere:

  • Weniger komplizierte Verfahren für die Beantragung von Pflegeleistungen
  • Flexiblere und leichter zugängliche Unterstützungsangebote für Angehörige
  • Vereinfachte Abrechnungen und Dokumentationspflichten für Pflegekräfte

 

✅ Prävention wird ausgebaut – Pflegekräfte dürfen Empfehlungen aussprechen

Um Pflegebedürftige besser zu schützen, sollen Pflegekräfte künftig Präventionsempfehlungen aussprechen dürfen. Das bedeutet:

  • Pflegekräfte können direkt Präventionsmaßnahmen empfehlen, ohne dass eine ärztliche Diagnose notwendig ist.
  • Pflegebedürftige, die zu Hause versorgt werden, sollen besseren Zugang zu gesundheitsfördernden Maßnahmen erhalten.

 

✅ Förderung neuer Wohnformen für Pflegebedürftige

Pflegebedürftige Menschen sollen mehr Möglichkeiten bekommen, selbstbestimmt zu wohnen. Das Gesetz sieht daher vor, neue Regelungen für innovative Wohnformen in das Vertrags- und Qualitätsrecht der Pflegeversicherung aufzunehmen.

Dazu gehören:

  • Pflege-WGs als Alternative zum Pflegeheim
  • Quartiernahe Wohnkonzepte, die Pflege und soziale Integration verbinden

Rechtssicherheit für Betreiber solcher Einrichtungen, um Investitionen in alternative Wohnformen attraktiver zu machen

 

✅ Bessere Datenvernetzung für eine effizientere Pflegeplanung

Damit die Versorgung auf regionaler Ebene besser geplant werden kann, sollen Pflegekassen und Kommunen Daten zur Versorgungssituation besser austauschen. Ziel ist es, kommunale Pflegestrukturen zu verbessern und den Pflegebedarf genauer zu erfassen.

Zudem sollen Kommunen mehr Mitspracherecht bei der Zulassung von Pflegeeinrichtungen erhalten, um die lokalen Bedürfnisse besser zu berücksichtigen.

 

✅ Schnellere Finanzierung und faire Bezahlung in der Pflege

Ein weiteres großes Problem in der Pflegebranche sind lange Finanzierungswege und komplizierte Meldepflichten. Das Gesetz sieht daher folgende Änderungen vor:

  • Vereinfachte Verfahren für Pflegeeinrichtungen, um schneller an Finanzmittel zu kommen.
  • Längere Fristen für Melde- und Umsetzungspflichten bei tariflicher Entlohnung, um Pflegeeinrichtungen zu entlasten.
  • Einfachere Meldeverfahren für tarifgebundene Pflegeeinrichtungen, um Bürokratie abzubauen:

 

❗Quellen & weiterführende Informationen:

👉 Bundesgesundheitsministerium – Pflegekompetenzgesetz

👉 Deutscher Pflegerat – Positionen zum Pflegekompetenzgesetz

👉 Bundesregierung – Mehr Kompetenzen für Pflegekräfte

Wie reagiert die Fachwelt auf das Gesetz?

Das Pflegekompetenzgesetz wird in der Fachwelt intensiv diskutiert – mit überwiegend positiver Grundstimmung, aber auch mit deutlicher Kritik. Es ist ein Gesetz mit Signalwirkung, das den Pflegeberuf aufwerten und zukunftsfähig machen soll. Doch wie bei jeder weitreichenden Reform gehen die Meinungen über Wirksamkeit, Reichweite und Umsetzung auseinander.

 

Positive Stimmen: "Ein historischer Schritt" – endlich mehr Verantwortung für die Pflege

Viele Fachorganisationen und Pflegeexperten begrüßen das Pflegekompetenzgesetz ausdrücklich.

Der Deutsche Pflegerat (DPR) spricht von einem „historischen Schritt“ hin zu einer eigenverantwortlichen, professionellen Pflege. Präsidentin Christine Vogler betont:

„Mit dem Pflegekompetenzgesetz wird erstmals klar anerkannt, dass Pflege mehr ist als nur eine ärztlich angeleitete Tätigkeit. Wir brauchen dieses Gesetz, damit Pflege endlich als eigene Profession mit heilkundlicher Zuständigkeit anerkannt wird.“

Quelle: Deutscher Pflegerat – Pressemitteilung vom 19.12.2024

👉 Auch andere Pflegeorganisationen loben die geplanten Maßnahmen. Die Bundespflegekammer etwa begrüßt, dass Pflegekräfte künftig präventiv tätig werden dürfen und in der Versorgung eigenständige Entscheidungen treffen können – etwa bei der Wundversorgung oder der Verordnung von Hilfsmitteln.

👉 Pflegeverbände sehen darin eine überfällige Reaktion auf die Praxisrealität: Pflegekräfte verfügen über eine fundierte Ausbildung, treffen täglich komplexe Entscheidungen – bislang jedoch ohne die rechtliche Absicherung oder Anerkennung, die dafür notwendig wäre.

👉 Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sehen in der Reform zudem die Chance, medizinisches Personal zu entlasten und Abläufe effizienter zu gestalten. Besonders im ländlichen Raum, wo Hausärzte fehlen, könnten Pflegekräfte Versorgungslücken schließen.

 

Kritische Stimmen: "Mehr Aufgaben – aber ohne bessere Bedingungen?"

Neben der Zustimmung gibt es auch ernstzunehmende Bedenken und Kritik – sowohl aus der Ärzteschaft als auch von Pflegegewerkschaften und Arbeitsrechtsexperten.

👉 Ärzteverbände: Sorge vor Kompetenzüberschneidungen

Der Marburger Bund und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befürchten, dass durch die erweiterten Befugnisse der Pflege der medizinische Aufgabenbereich verwässert wird.

„Die eigenverantwortliche Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten durch Pflegekräfte darf nicht dazu führen, dass medizinische Verantwortung verwischt wird oder die Patientensicherheit leidet“, so ein Sprecher der KBV.

Man fordert klare gesetzliche Abgrenzungen, um Konflikte im Berufsalltag zu vermeiden und die Koordination zwischen Ärzten und Pflegefachpersonen nicht zu gefährden.

 

👉 Gewerkschaften: Mehr Verantwortung, aber gleiche Bezahlung?

Gewerkschaften wie ver.di und die Pflegegewerkschaft Bochumer Bund unterstützen die inhaltlichen Ziele des Gesetzes, warnen aber vor einer Schieflage: Mehr Verantwortung müsse zwingend mit besseren Rahmenbedingungen einhergehen.

„Man kann nicht die Aufgaben und Anforderungen an Pflegekräfte erhöhen, ohne gleichzeitig die Bezahlung, Personalbemessung und Arbeitsbedingungen zu verbessern“, mahnt ver.di-Gesundheitsexperte Sylvius Bismarck.

Sonst drohe eine weitere Überforderung des ohnehin stark belasteten Personals. Besonders in der Langzeitpflege und im ambulanten Bereich fehle es bereits heute an ausreichend Personal und Zeit.

 

👉 Pflegewissenschaft: Lob mit Mahnung zur strukturellen Veränderung

Auch aus der Pflegewissenschaft kommen gemischte Reaktionen. Zwar wird die Aufwertung der Pflege als Profession begrüßt – doch ohne begleitende Reformen in der Finanzierung, Qualifizierung und Organisation werde das Gesetz nicht die gewünschte Wirkung entfalten.

Professorin Sabine Bartholomeyczik (ehem. Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung) erklärt:

„Ein Muster-Scope of Practice ist ein wichtiger erster Schritt, aber wir brauchen langfristige Konzepte für akademisierte Pflege, klare Zuständigkeiten und interprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe.“

 

Fazit zur Reaktion der Fachwelt

 

Das Pflegekompetenzgesetz wird von vielen als Wendepunkt für die Pflegeberufe in Deutschland begrüßt. Die Anerkennung der heilkundlichen Verantwortung, die Entlastung durch neue Kompetenzen und der Einbezug in gesundheitspolitische Entscheidungen markieren einen historischen Fortschritt.

Gleichzeitig mahnt die Fachwelt an, dass dieser Schritt nicht isoliert erfolgen darf. Ohne begleitende Maßnahmen wie bessere Bezahlung, mehr Personal, Qualifizierungsangebote und eine echte Reform der Versorgungsstrukturen könnte der Nutzen des Gesetzes begrenzt bleiben – oder im schlimmsten Fall sogar zu neuer Belastung führen.

Fazit: Ein großer Schritt, aber nicht die Lösung aller Probleme

Das Pflegekompetenzgesetz markiert ohne Zweifel einen bedeutenden Meilenstein für die Pflege in Deutschland. Zum ersten Mal wird gesetzlich anerkannt, dass Pflegefachpersonen nicht nur unterstützend, sondern auch eigenverantwortlich heilkundlich tätig sein können. Das ist nicht nur ein Akt der fachlichen Anerkennung, sondern auch ein Signal der Wertschätzung an eine Berufsgruppe, die in der Pandemie und darüber hinaus gezeigt hat, wie systemrelevant sie ist.

Die erweiterten Kompetenzen – etwa in der Wundversorgung, beim Diabetes- und Demenzmanagement oder bei der eigenständigen Verordnung von Hilfsmitteln – ermöglichen es Pflegekräften, schneller und gezielter zu handeln, ohne auf ärztliche Anordnungen warten zu müssen. Das kann insbesondere in der ambulanten Pflege und in unterversorgten Regionen zu einer spürbaren Verbesserung der Versorgung führen.

❗Aber: Die Reform greift zu kurz, wenn sie nicht von weiteren strukturellen Verbesserungen begleitet wird.

Denn mehr Verantwortung bedeutet auch mehr Belastung – und diese ist schon heute für viele Pflegende grenzwertig. Ohne verbindliche Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen, Personalschlüssel, Bezahlung und Weiterbildungsmöglichkeiten besteht die Gefahr, dass das Gesetz zwar gut gemeint ist, aber in der Praxis auf Widerstände oder Überforderung stößt.

Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit wird durch das Gesetz auf eine neue Stufe gestellt – was begrüßenswert ist, aber klare Zuständigkeiten und eine gute Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegekräften voraussetzt. Hier drohen – ohne klare Regelungen und Fortbildungen – Konflikte, die der Versorgungsqualität schaden könnten.

Nicht zuletzt muss sich zeigen, ob die gesetzlichen Änderungen auch im Alltag wirklich ankommen – etwa in Pflegeheimen, ambulanten Diensten oder Krankenhäusern. Entscheidend wird sein, wie schnell und konsequent die neuen Regelungen umgesetzt, finanziert und von den Kassen mitgetragen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Pflegekompetenzgesetz sendet ein starkes Signal – es stärkt die Pflege, es traut ihr mehr zu, es gibt ihr mehr Gewicht im Gesundheitssystem. Aber es ist nur ein Anfang. Um die Pflege in Deutschland wirklich zukunftsfähig zu machen, braucht es mehr als Gesetze – es braucht echte Reformen, gelebte Praxisveränderung und eine Kultur, die Pflege nicht nur fordert, sondern auch fördert.

Pflege ist wichtig - und du bist es auch!