Die Pflege ist eine der wichtigsten Säulen unseres Gesundheitssystems. Pflegekräfte kümmern sich nicht nur um die medizinische Versorgung von Patient:innen, sondern sind auch emotionale Stützen, organisieren Abläufe und bewältigen täglich komplexe Herausforderungen. Doch gerade diese Vielfalt an Aufgaben kann dazu führen, dass Pflegekräfte sich überfordert oder fremdbestimmt fühlen.
Zeitdruck, Personalmangel, bürokratische Hürden und strenge Hierarchien sind nur einige der Faktoren, die das Arbeiten in der Pflege erschweren können. Viele Pflegekräfte erleben ihren Arbeitsalltag als reaktiv – sie handeln nicht aus einer selbstbestimmten Position heraus, sondern reagieren auf äußere Umstände. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit kann langfristig zu Frustration, Stress und im schlimmsten Fall zu Burnout führen.
Ein entscheidender Faktor, der Pflegekräfte dabei unterstützt, mit diesen Belastungen umzugehen und ihre Arbeit mit Freude auszuüben, ist die Selbstwirksamkeit. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff? Wie beeinflusst Selbstwirksamkeit die Arbeitszufriedenheit und das psychische Wohlbefinden? Und wie kann sie gezielt gestärkt werden?
Was bedeutet Selbstwirksamkeit?
Der Begriff Selbstwirksamkeit stammt aus der Psychologie und wurde von dem kanadischen Psychologen Albert Bandura geprägt. Er beschreibt die Überzeugung einer Person, durch eigenes Handeln Einfluss auf die Umwelt nehmen und Herausforderungen bewältigen zu können.
Es geht dabei nicht um tatsächliche Fähigkeiten, sondern um den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Eine Person mit hoher Selbstwirksamkeit vertraut darauf, dass sie in der Lage ist, ihre Ziele zu erreichen – selbst wenn Hindernisse auftreten.
Albert Bandura identifizierte vier Hauptquellen, die unsere Selbstwirksamkeit beeinflussen:
👉Eigene Erfolgserfahrungen („Mastery Experiences“)
Die wichtigste Quelle der Selbstwirksamkeit sind positive Erfahrungen mit bewältigten Herausforderungen.
Wenn wir etwas Schwieriges geschafft haben, wächst unser Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Beispiel: Eine Pflegekraft, die erfolgreich ein schwieriges Gespräch mit Angehörigen geführt hat, wird sich künftig sicherer in solchen Situationen fühlen.
👉Lernen durch Vorbilder („Vicarious Experiences“)
Wenn wir beobachten, wie andere Menschen erfolgreich mit Herausforderungen umgehen, stärkt das unseren eigenen Glauben an unsere Fähigkeiten.
Besonders hilfreich ist es, sich mit Personen zu identifizieren, die ähnliche Aufgaben oder Herausforderungen haben.
Beispiel: Eine unerfahrene Pflegekraft sieht, wie eine Kollegin ruhig und professionell eine Notfallsituation meistert – das gibt ihr das Gefühl, dass auch sie solche Situationen bewältigen kann.
👉Verbale Ermutigung („Verbal Persuasion“)
Wenn andere uns zusprechen und uns Vertrauen in unsere Fähigkeiten vermitteln, stärkt das unsere Selbstwirksamkeit.
Positives Feedback und Ermutigung von Kolleg:innen, Vorgesetzten oder Patient:innen können Pflegekräfte darin bestärken, dass sie fähig sind, ihre Aufgaben gut zu meistern.
Beispiel: Eine Stationsleitung lobt eine Pflegekraft für ihr einfühlsames Vorgehen bei einem dementen Patienten – dadurch fühlt sich die Pflegekraft sicherer in der Arbeit mit Demenzpatient:innen.
👉Emotionale und körperliche Zustände („Physiological and Emotional States“)
Unsere körperlichen und emotionalen Reaktionen beeinflussen, wie wir unsere Fähigkeiten einschätzen.
Wenn wir gestresst oder ängstlich sind, glauben wir oft weniger an uns selbst.
Beispiel: Eine Pflegekraft, die kurz vor einem schwierigen Gespräch sehr nervös ist, könnte denken: „Ich bin nicht gut darin.“ Wenn sie jedoch lernt, ihre Nervosität zu regulieren, kann sie das Gefühl der Selbstwirksamkeit steigern.
Ein Mensch mit hoher Selbstwirksamkeit glaubt daran, dass er schwierige Situationen bewältigen kann, dass sein Tun Wirkung zeigt und dass er aktiv Veränderungen herbeiführen kann. In der Pflege bedeutet das:
👉Sich als kompetent und handlungsfähig erleben: Pflegekräfte, die überzeugt sind, dass sie mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten etwas bewirken können, gehen Herausforderungen selbstbewusster an.
👉Eigenverantwortung übernehmen: Anstatt sich als bloße „Ausführende“ zu sehen, fühlen sich selbstwirksame Pflegekräfte als aktive Gestalter:innen ihrer Arbeit.
👉Veränderungen initiieren können: Wer glaubt, Einfluss auf die Arbeitsbedingungen oder die Pflegequalität zu haben, setzt sich eher für Verbesserungen ein – sei es durch Vorschläge im Team oder die Teilnahme an Veränderungsprozessen.
Gegenteil von Selbstwirksamkeit: Menschen mit geringer Selbstwirksamkeit glauben oft, dass sie äußeren Umständen hilflos ausgeliefert sind. In der Pflege kann das bedeuten, dass Pflegekräfte sich nicht trauen, Missstände anzusprechen, sich von Stress überwältigt fühlen oder resignieren.
Warum ist Selbstwirksamkeit in der Pflege so wichtig?
Pflegekräfte, die ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit verspüren, profitieren in vielerlei Hinsicht – sowohl in Bezug auf ihre psychische Gesundheit als auch in ihrem Berufsalltag:
👉Mehr berufliche Zufriedenheit und Motivation
Wer glaubt, dass sein eigenes Handeln einen Unterschied macht, wird seine Arbeit als sinnvoller erleben. Das steigert die berufliche Zufriedenheit und kann Pflegekräfte langfristig motivieren.
👉Reduzierter Stress und weniger Burnout
Pflegekräfte mit hoher Selbstwirksamkeit gehen Herausforderungen aktiver an, anstatt sich von Stress überwältigen zu lassen. Dadurch sind sie weniger anfällig für psychische Erschöpfung und Burnout.
👉Bessere Patientenversorgung
Selbstwirksame Pflegekräfte handeln proaktiver, treffen eigenständige Entscheidungen und übernehmen Verantwortung. Das führt zu einer besseren Betreuung der Patient:innen, da Pflegekräfte ihre Fachkompetenz gezielt einsetzen.
👉Mehr Eigeninitiative und Veränderungsbereitschaft
Wer sich selbst als handlungsfähig wahrnimmt, ist eher bereit, sich für Verbesserungen einzusetzen – sei es durch Vorschläge zur Arbeitsorganisation, zur Teamarbeit oder zur Qualitätssicherung in der Pflegeeinrichtung.
👉Gesteigerte Resilienz und Problemlösefähigkeit
Pflegekräfte mit hoher Selbstwirksamkeit entwickeln eine positive Einstellung gegenüber Herausforderungen und sehen Probleme nicht als unüberwindbar an. Sie suchen aktiv nach Lösungen und lassen sich nicht so schnell entmutigen.
Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein: Die Unterschiede einfach erklärt
Die Begriffe Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein werden oft miteinander verwechselt, bedeuten aber nicht dasselbe. Beide beschreiben verschiedene Aspekte unserer Persönlichkeit und beeinflussen, wie wir mit Herausforderungen und unserem Alltag umgehen.
👉Was ist Selbstwirksamkeit?
Selbstwirksamkeit bezeichnet die Überzeugung, dass man durch eigenes Handeln etwas erreichen oder bewirken kann. Es geht darum, an die eigenen Fähigkeiten zu glauben, um bestimmte Ziele zu erreichen oder Herausforderungen zu meistern.
Beispiel in der Pflege: Eine Pflegekraft, die glaubt, dass sie eine schwierige Situation mit einem aggressiven Patienten erfolgreich bewältigen kann, zeigt ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit.
👉Was ist Selbstbewusstsein?
Selbstbewusstsein hingegen beschreibt das allgemeine Gefühl von Selbstwert und innerer Sicherheit. Es bezieht sich darauf, wie wohl sich eine Person mit sich selbst fühlt und wie sie sich in ihrem Umfeld wahrnimmt.
Beispiel in der Pflege: Eine Pflegekraft, die selbstbewusst ist, tritt souverän im Team auf, kommuniziert klar und lässt sich durch Kritik nicht so leicht verunsichern.
👉Der Fokus der beiden Begriffe
- Selbstwirksamkeit ist spezifisch und situationsbezogen. Sie bezieht sich darauf, ob man sich in der Lage fühlt, eine bestimmte Aufgabe oder Herausforderung zu bewältigen.
- Selbstbewusstsein ist allgemeiner und umfasst das gesamte Selbstbild einer Person, also das Gefühl, wertvoll und akzeptiert zu sein.
👉Wie entwickeln sich Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein?
- Selbstwirksamkeit entsteht vor allem durch Erfahrungen. Wer eine schwierige Situation erfolgreich meistert, gewinnt das Vertrauen, in Zukunft ähnliche Aufgaben bewältigen zu können. Auch positives Feedback oder Vorbilder können helfen, die Selbstwirksamkeit zu stärken
- Selbstbewusstsein entwickelt sich durch die Wahrnehmung des eigenen Selbstwertes. Es hängt stark davon ab, wie jemand sich selbst sieht und wie er von anderen behandelt wird. Wertschätzung, Anerkennung und ein unterstützendes Umfeld fördern ein gesundes Selbstbewusstsein.
👉Wie beeinflussen sich die beiden?
Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein hängen zusammen, aber sie sind nicht dasselbe.
Eine Person kann ein starkes Selbstbewusstsein haben und sich wertvoll fühlen, aber an ihren Fähigkeiten in bestimmten Bereichen zweifeln.
Umgekehrt kann jemand in einer bestimmten Aufgabe hoch selbstwirksam sein, aber insgesamt wenig Selbstbewusstsein haben.
Beispiel aus der Pflege: Eine Pflegekraft kann sich sicher sein, dass sie medizinische Notfälle gut managt (hohe Selbstwirksamkeit), aber trotzdem unsicher auftreten, wenn es um Teammeetings oder Diskussionen mit Vorgesetzten geht (geringes Selbstbewusstsein).
👉Fazit
Selbstwirksamkeit beschreibt den Glauben, bestimmte Herausforderungen meistern zu können, während Selbstbewusstsein das allgemeine Gefühl von Selbstwert und Sicherheit ist. Beide sind wichtig, um mit den Anforderungen im Beruf und im Alltag souverän umzugehen, und sie lassen sich durch Erfahrungen, Feedback und ein unterstützendes Umfeld gezielt stärken.
Wie kann die Selbstwirksamkeit in der Pflege gestärkt werden?
Selbstwirksamkeit ist keine angeborene Eigenschaft, sondern kann gezielt gefördert und trainiert werden. Sowohl Pflegekräfte selbst als auch Teams und Führungskräfte können dazu beitragen, das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken.
👉Eigene Erfolge bewusst wahrnehmen
Oft geht im hektischen Pflegealltag unter, was gut gelaufen ist. Viele Pflegekräfte fokussieren sich vor allem auf das, was sie nicht geschafft haben oder was nicht optimal lief. Dabei hilft es, sich bewusst zu machen, welche positiven Dinge man jeden Tag bewirkt. Ein einfaches Ritual könnte sein:
- Am Ende eines Arbeitstages kurz überlegen: Was ist mir heute gut gelungen?
- Erfolgserlebnisse in einem kleinen Tagebuch festhalten
- Positives Feedback von Patient:innen oder Kolleg:innen bewusst annehmen
👉Lernen durch Vorbilder und Erfahrungsaustausch
Selbstwirksamkeit entsteht auch dadurch, dass wir sehen, wie andere mit Herausforderungen umgehen. Ein wertvoller Ansatz ist daher:
- Den Austausch mit erfahrenen Kolleg:innen suchen
- An Team-Besprechungen aktiv teilnehmen und voneinander lernen
- Mentoring-Programme nutzen oder selbst als Mentor:in agieren
👉Positives Feedback geben und empfangen
In der Pflege wird oft auf Fehler geachtet – dabei ist es genauso wichtig, Anerkennung für gute Arbeit zu erhalten. Pflegekräfte sollten aktiv Feedback geben und sich gegenseitig bestärken. Eine Kultur der Wertschätzung im Team fördert das Gefühl, etwas bewirken zu können.
👉Realistische Ziele setzen
Zu hohe oder unerreichbare Erwartungen an sich selbst können das Gefühl der Überforderung verstärken. Besser ist es, kleine, realistische Ziele zu setzen, die nach und nach zu mehr Selbstvertrauen führen. Beispiele:
- Kurzfristige Ziele: „Heute nehme ich mir bewusst Zeit für ein wertschätzendes Gespräch mit einer Patientin.“
- Mittelfristige Ziele: „Ich möchte meine Kommunikation mit Angehörigen verbessern und dazu eine Fortbildung besuchen.“
- Langfristige Ziele: „Ich engagiere mich für eine bessere Arbeitsstruktur in meiner Einrichtung.“
👉Weiterbildungen nutzen und Kompetenzen ausbauen
Wissen gibt Sicherheit. Wer sich regelmäßig fortbildet, fühlt sich kompetenter und handlungsfähiger. Neben Fachwissen kann es auch helfen, gezielt Soft Skills zu stärken – zum Beispiel in den Bereichen:
- Kommunikation und Deeskalation
- Zeitmanagement und Selbstorganisation
- Resilienz und Stressbewältigung
👉Eine unterstützende Arbeitsumgebung schaffen
Pflegekräfte können ihre Selbstwirksamkeit nur dann entfalten, wenn sie sich in einem wertschätzenden Arbeitsumfeld befinden. Führungskräfte spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie:
- Pflegekräften mehr Mitspracherecht und Autonomie ermöglichen
- Offene Kommunikation und Teamarbeit fördern
- Weiterbildung und persönliche Entwicklung unterstützen
- Eine Kultur der Anerkennung und Wertschätzung schaffen
👉Achtsamkeit und Selbstfürsorge praktizieren
Um langfristig motiviert und gesund zu bleiben, ist es wichtig, auf sich selbst zu achten. Pflegekräfte sollten regelmäßig reflektieren, was ihnen guttut, und sich bewusst Zeit für Erholung nehmen. Dazu gehören:
- Bewusst Pausen einplanen
- Entspannungstechniken wie Meditation oder Atemübungen ausprobieren
- Sich außerhalb der Arbeit mit positiven Aktivitäten beschäftigen
Fazit: Selbstwirksamkeit als Schlüssel zu mehr Zufriedenheit in der Pflege
Selbstwirksamkeit ist ein entscheidender Faktor für die Zufriedenheit, Motivation und psychische Gesundheit von Pflegekräften. Sie hilft, den Pflegealltag aktiv zu gestalten, Herausforderungen mit Zuversicht anzugehen und die eigene Rolle als wertvoll und bedeutend zu erleben.
Jede Pflegekraft kann durch kleine Schritte ihre Selbstwirksamkeit stärken – sei es durch bewusste Erfolgserlebnisse, den Austausch mit Kolleg:innen oder gezielte Weiterbildungen. Gleichzeitig sind Teams und Führungskräfte gefragt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Pflegekräften ermöglichen, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Denn eines steht fest: Pflegekräfte sind keine passiven Ausführenden – sie sind Gestalter:innen ihrer Arbeit und machen jeden Tag einen Unterschied im Leben der Patient:innen.